18.01. – 15.02.2014

EUGÈNE

LEROY

Das späte Werk

Beschäftigt man sich mit der Malerei von Eugène Leroy, ließe sich viel sagen über die Debatte um abstrakte und gegenständliche Kunst, die im 20. Jahrhundert immer wieder die Gemüter der Kritiker und Künstler erhitzt. Leroy, 1910 geboren im französischen Tourcoing, erlebt seit Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit bis zu seinem späten Tod im Jahr 2000 wie hieraus unterschiedlichste Kunstströmungen entstehen. Er ist 16 Jahre alt, als Claude Monet stirbt, und Zeitgenosse von Kasimir Malewitsch, Marcel Duchamp, Pablo Picasso, Jean Fautrier, Jackson Pollock, Lucian Freud und Georg Baselitz. Doch der Maler findet schon früh seinen eigenen Weg. Er begeistert sich für frühere Werke wie die Fresken von Masaccio, die expressiv anmutenden Gemälde von Goya und El Greco, die Porträts von Rembrandt oder die Bilder von Cézanne. Um deren Arbeiten zu studieren, reist er immer wieder ins Ausland. Die überwiegende Zeit verbringt der bedächtige, nachdenkliche Maler allerdings in seinem nordfranzösischen Wohnort Wasquehal, wo er ab 1958 sein Atelier hat.

Dort entsteht ein OEuvre, das sich in den 1930er und 40er Jahren ganz offensichtlich am Gesehenen orientiert, ohne dabei naturalistisch zu sein. Aber schon bald, und dies gilt für das gesamte folgende Werk, tritt die direkte Wiedergabe des Motivs weit in den Hintergrund. Die modellierten Farbschichten, zuweilen zentimeterdick, türmen sich zu einem vermeintlich ungeordneten, vielschichtigen Relief übereinander. Nehmen wir uns ein wenig Zeit und betrachten die Werke intensiv – vor allem mit einem gewissen räumlichen Abstand –, taucht langsam das Sujet auf und gewinnt an Gestalt. Die leicht differenzierten Farbnuancen vervollständigen sich zu einer Figur, einem Gesicht oder einer Landschaft, durchdrungen von Licht und Schatten. Die uns bekannten Formen sind nur angedeutet, pulsieren optisch vor und zurück und sind unkonturiert wie Eins mit der Farbmasse. Sobald wir sie jedoch erfasst haben, sind sie nicht mehr wegzudenken.

Es wird offensichtlich, dass Leroy sich um die ideologische Trennung von Figuration und Abstraktion nicht kümmert. Seine Motive lösen sich weder in vollkommener Ungegenständlichkeit auf, noch sind sie konkret erkennbar. Das Gemalte ist nur eine Resonanz des Außerbildlichen. Doch gerade deshalb kommen diese Werke der Wirklichkeit vielleicht näher als die frühen, greifbareren Arbeiten Leroys. Seine Akte, Porträts, Landschaften oder der Mann am Kreuz stehen nicht isoliert für sich, sondern sind in ihre Umgebung direkt eingebunden. So lösen sich beispielsweise die Körperkonturen der Frauen, die tatsächlich während der Arbeit vor ihm stehen, auf der Leinwand nahezu auf. Gleich einer durchlässigen Membran ist die Trennung von Figur und Umraum aufgehoben. Die Haut des Menschen scheint ihre Funktion als Schutz einzubüßen, die Zartheit und Verletzbarkeit des menschlichen Körpers findet so ihre Entsprechung. Es gibt keinen Vorder- und Hintergrund und alles wirkt auf uns wie untrennbar miteinander vereint. Mit Hilfe der pastosen Malerei entsteht ein materielles Kontinuum, in dem das Motiv zwischen Luft, Licht und Umraum transzendiert. Wir Betrachter werden dabei aktiv involviert, denn erst durch unser Schauen kann sich diese Dynamik entwickeln. Hierin liegt die Größe der Kunst von Eugène Leroy: Er vermag mit Hilfe der Ölfarbe als Material eine ästhetische Ausdrucksform für die außerbildlichen als auch für die abstrakten Verhalte zu finden. Seine Gemälde werden zu Metaphern für die Ganzheit der Existenz, den ewigen Kreislauf der Materie und für alles Werden und Vergehen.

Text: Janna Oltmanns

Ausstellungen mit Eugène Leroy